12. Januar 2018

Heftige Beerdigung

Schon paar Tage nachdem ich hier in Mosambik angekommen bin, habe ich Julia zu einem Hausbesuch begleitet. Es ging zu einer Nachbarin von uns, die schon sehr alt war (kommt hier nicht sehr oft vor). Wie alt genau sie war, kann ich dir nicht sagen, da die Leute es meistens selber nicht wissen. Vor allem die älteren Leute hier, wurden ja eindeutig nicht in einem Krankenhaus geboren und so wurde ihr Geburtsdatum nie notiert. Wenn man sie nach ihrem Alter fragt, kommt dann sowas wie: 1974, während der Regenzeit. Und selbst ob das stimmt, ist meistens fraglich.
Aber zurück zu der alten Frau. Ich weiß nicht mehr genau was ihr gesundheitlich fehlte, aber ich denke es war irgendwas mit dem Herz. Auf jeden Fall konnte sie ihr Bett nicht mehr verlassen und bedurfte 100%iger pflege.
Es tat mir schon leid, sie da so liegen zu sehen. In dem Lehm Haus, auf einem harten und schon sehr zerstörtem Bett, in einem dunklen Zimmer. Aber ich muss gestehen, so sehr berührte mich das nicht. Sie war für die mosambikanischen Verhältnisse echt schon alt und wurde mega süß von einer jungen Frau gepflegt und durch die Schmerzmittel von uns, musste sie auch nicht mehr sehr leiden.
Julia ging noch sehr oft zu Hausbesuchen dort vorbei und nahm jedes mal benötigte Tabletten und so mit. Zwei mal begleitete ich sie noch, aber ich kam mir dabei immer so komisch vor. Ich konnte ja einfach nur da sitzen und versuchen die Frau nicht anzustarren. Also ließ ich es nach einer Weile.
Ein wenig mehr als einen Monat später bekamen wir die Nachricht, dass die Frau gestorben war. Natürlich wurden wir zu der Beerdigung eingeladen und wie es der Anstand verlangte, mussten ich da auch hin. 
Ich hatte echt keine Ahnung was mich erwarten würde. Das letzte mal das ich auf einer Beerdigung war, war irgendwie 10 Jahre her und hier ist das auch noch eine ganz andere Kultur. Beim Frühstück am Tag der Beerdigung, redeten Julia und ich noch kurz darüber. Sie meinte das es meistens sehr unspektakulär ist und sogar gut möglich ist, dass ich nicht mal den Sarg sehen werde. Abgesehen davon ist das ja eine muslimische Beerdigung, und da müssen die Frauen sowieso hinten sitzen. Allerdings kam es schon vor, dass die Angehörigen von einem verlangten irgendwas zu tun, was mit ihrem animistischen Glauben zu tun haben könnte, und da musste man vorsichtig sein.
Bisschen später holten eine andere Nachbarin und Bibi (so nennt man alle älteren Frauen, diese kenne ich jedoch, weil sie bei uns arbeitet. Immer gut drauf, immer am singen, lacht mich ständig aus :) uns zu der Beerdigung ab. Bis zu der Hütte der Verstorbenen war es vielleicht ein Weg von 50 Metern. Direkt als die Hütte in sicht war, konnte man total viele muslimische Männer davor sitzen sehen. Mir wurde direkt etwas mulmig zumute. Wir gingen an ihnen vorbei, zum Hintereingang der Hütte, und dort saßen nochmal das doppelte an Frauen. Als 'weiße' gelten wir hier ja sowieso immer als Ehrengäste, deshalb wurden wir gleich in die Hütte mit rein genommen.
In der Hütte saßen überall trauernde Frauen. Es war grade mal genug Platz, um dem schmalen Flur zu folgen, der uns in einen größeren Raum führte. Da in dem Raum schon so viele Frauen auf dem Boden saßen, gab es zu meinem großen Bedauern nur noch direkt in der Mitte Platz. Dort saßen wir uns hin und warteten. Ich habe mich wirklich sehr unwohl gefühlt... Um mich herum leise wimmernde Frauen, und die Luft war von Räucherstäbchen Rauch erfüllt.
Ich hatte überhaupt kein Plan was jetzt passieren würde, also sah ich hilfesuchend zu Julia. Die unterhielt sich grade leise mit irgendeiner Frau, konnte mir also nicht weiterhelfen. Wir warteten noch eine weile, dann rückten alle näher zusammen, um in der Mitte Platz zu schaffen.
Dann ging alles ziemlich schnell. Die Frauen fingen an irgendetwas leise vor sich hin zu singen und vier Frauen trugen ein weißes Tuch rein, worin irgendetwas lag. Da ich immer noch sehr weit in der Mitte saß, legten die Frauen das Tuch quasi direkt vor mir ab und ich musste zu meinem Schrecken feststellen, dass da plötzlich der Leichnam der Verstorbenen vor mir lag. Ich war erstmal total verwirrt. Der 'Gesang' wurde immer lauter und auch von Draußen konnte man die unzähligen Leute vor der Hütte singen/beten hören. Das war so gruselig, ich dachte mir nur: Was geht denn jetzt los? Dann breiteten die vier Frau ein anderes Tuch über die Leiche aus, hielten es aber noch fest und schwangen es immer wieder hoch und runter. Eine andere Frau kam rein, mit einer Schale in der Hand. Dort war irgendetwas oranges drin, womit sie die Leiche und das Tuch dann besprenkelte. Danach wurde eine Schale mit Baumwolle reingebracht. Eine Frau fing an immer ein kleines Stück davon ab zu ziehen und zwischen die einzelnen Finger der Leiche zu stecken. Dann wurden Julia und ich aufgefordert, es ihr nach zu tun. Die Frauen neben mir drückten mich schon fast zu der Leiche runter, hielten mir Baumwolle hin und redeten auf mich ein. Mir wurde das alles langsam zu viel, ich fing an zu zitter und wurde total unruhig. Das kam mir sehr komisch vor und ich wollte auf keinen Fall etwas machen, was mit dem animismus zu tun hatte. Ich tat so als würde ich nicht verstehen, was sie von mir wollten. Das klappte ziemlich gut, sodass sie schon mit allen Fingern fertig waren, als ich einfach nicht weiter auf dumm tun konnte.
Danach fing eine Frau an, irgendetwas sehr laut und sehr schnell zu sagen. Es war irgendein Gebet an Allah. Nach jedem Satz kam ein lautes 'amin' von allen anderen Frauen. Während dessen wurde die Leiche eingewickelt und zu gebunden. Von den Frauen die direkt um uns saßen, wurden wir immer wieder aufgefordert mit zu beten. Sie stießen uns an, zeigten wie man die Hände halten soll und so weiter. Ich stellte mich blöd, weil das meistens am besten klappt. Julia hörte ich immer wieder sagen, sie würde nur zu Jesus beten. Da lag so eine Unruhe in der Luft und die Stimmen klangen so agressiv, ich bemerkte wie ich immer stärker zitterte.
Eine Frau die neben mir stand brach plötzlich in ihrer Trauer zusammen. Sie war eine enge Verwandte der Verstorbenen. Julia und ich kümmerten uns um sie, und trösteten sie so gut wir konnten. Erstens weil sich das einfach so gehört und zweitens um eine Entschuldigung zu haben, warum wir nicht mit beteten.
Als die Gebete fertig gesprochen waren und die Leiche fertig vorbereitet war, wurde sie durch eine Tür nach draußen zu den Männern getragen. Ab da übernahmen sie und brachten den Leichnam zum Friedhof. Wir blieben da und kümmerten uns noch einwenig um die Trauenden. Irgendwann wurden wir nach draußen geführt und sollten unsere  Hände waschen. In dem Eimer war irgendwas drin. Auch davor wurde ich gewarnt, es könnte was animistisches sein. Also bestanden wir darauf normales Wasser zu bekommen, und wuschen unsere Hände dann damit.
Wir gingen nochmal kurz ins Haus, blieben aber nicht lange und 'schlichen' uns bei der ersten Gelegenheit nach Hause.
Da angekommen brauchte ich erstmal bisschen Luft, um das was ich eben erlebt hatte, zu verarbeiten. Was ist da bloß passiert?! Was von alle dem war jetzt muslimisch und was kam von dem animistischen Hintergrund? Die Frage wurde mir bis heute leider nicht beantwortet. Allerdings musste ich feststellen, dass ich mir diese Frage bis jetzt, drei monate später, noch in einigen anderen Situationen stellen musste...

7. Januar 2018

Cholera

Wenige Wochen nach meiner Ankunft in Mosambik, brach in kleinen Dörfern in Memba (eine Stadt die wir regelmäßig besuchen und wo wir ein Medizin Zentrum haben) Cholera aus. Cholera ist eine Brech-Durchfall Krankheit/Seuche, die durch Bakterien in Wasser, Nahrung, usw. übertragen wird (bei Interesse: Google weiß alles :). Grund für die Verbreitung sind meistens mangelnde Hygiene. Dadurch, dass die Menschen hier sehr häufig unterernährt sind, kann es im schlimmsten Fall schon nach wenigen Stunden zum Tod führen.
Natürlich bricht da die Panik unter den Menschen aus. Dazu kommt noch die mangelnde Bildung, denn so haben sie keine Ahnung was Bakterien sind, und das die Cholera verursachen. Also was denken die wie funktioniert das Ganze? Durch den Buschfunk ging das Gerücht, Leute von der Regierung streuen ein Pulver vor die Türen der Dorfeinwohner und dadurch werden sie krank. Natürlich völliger Schwachsinn, aber für die Betroffenen irgendwie total logisch. Also waren die Menschen nicht nur wütend auf die Regierung, und jeden der was damit zu tun hat, sondern auch auf die jeweiligen Dorfleiter, da die selbstverständlich mit der Regierung unter einer Decke stecken und das alles zulassen. Leider kam es dadurch zu schlimmen Gewaltausbrüchen...
Es verbreiteten sich massenweise Geschichten über schlimme Vorfälle. Ein Gesundheitsbeauftragter wurde geschlagen bis er ins Krankenhaus musste, ein anderer wurde mit einer Machete angegriffen, noch ein anderer wurde gezwungen eine Flasche Paracetamol auszutrinken, man habe bei dem Auto von jemanden aus der Regierung die Scheiben zerschlagen und die Reifen kaputt gestochen, und und und.... Was davon wirklich passiert ist und was nicht, wird man wahrscheinlich nie erfahren, was man aber raushören konnte war, dass die Stimmung des Volks ziemlich geladen war. 
Da wir hier medizinisch Unterwegs sind, wollten wir den Cholerakranken helfen. Aber wie hilft man Menschen die jede Hilfe ablehnen, weil sie befürchten, dass jeder der zum helfen kommt, es eigentlich verursacht? Das ist eine schwierige Aufgabe und wir überlegten lange bis wir auf einige Ideen kamen. Erstmal spendeten wir dem Gesundheitsamt Chlor, das sie in den Dörfern verteilen konnten. Dann schrieben wir einen Song, der einfache Hygieneregeln beinhaltet und sagt, was im Fall von Cholera zu tun ist. Dieser wurde dann, von einem uns bekannten Sänger, produziert und immer wieder im Radio abgespielt. Natürlich kam noch der Gedanke tatsächlich in die Dörfer rein zufahren und ihnen zu helfen, jedoch war das für uns einfach zu gefährlich, da wir auch gehört haben, dass die Menschen einfach alle fremden Menschen die in ihr Dorf kommen im Ernstfall auch mit Gewalt vertreiben.
Einige Zeit später, mussten wir laut unserem Plan einen unserer Gesundheitsposten besuchen. Das Problem dabei war aber, dass dieser in der Cholera Gegend lag, was somit ein gewisses Risiko mit sich trug. Sehr früh morgens ging es los. Vor uns lag ein weiter Weg und die Ungewissheit, was uns erwarten würde. 
Wir merkten sofort als wir in die Nähe der betroffenen Dörfer kamen. Die Mensche sahen nur unser Auto und brachen in großer Panik aus. Es war furchtbar. Sie sprangen auf, schnappten sich ihre Kinder und liefen so schnell sie konnten, um sich vor uns zu verstecken. Ich habe noch nie so angsterfüllte Gesichter und menschenleere Dörfer gesehen. Normalerweise spielt sich der Alltag des Volkes vor ihren Häusern ab, doch hier schien alles wie ausgestorben. 
Weiter auf unserem Weg, bemerkten wir in einigen Dörfern total zerstörte Hütten. Die Dächer waren runtergerissen und die Mauern eingeschlagen. ein Tag vorher, hatten wir schon gehört, dass daran die Dorfbewohner schuld waren. Die Hütten gehören den Leitern und so wollen sie die vertreiben. Das nahm so heftige Ausmaße an, dass es sogar in Fernsehn kam. An der nächsten größeren Kreuzung hielten wir an und fragten einen Mann, der dort sein Haus hatte, ob es ratsam wär weiter zu fahren. Der erzählte uns ziemlich viel beunruhigendes Zeug. Seit einigen Tage war in der Gegend eine größere Gruppe an Männern unterwegs. Die seien schwer bewaffnet und greifen jeden an, der nur ein wenig verdächtig aussieht, da sie so große Angst haben, dass auch in ihre Dörfer Cholera kommt. Außerdem sind sie es gewesen, die die Hütten zerstört haben. Der Mann erzählte uns noch, dass die Gruppe vor einigen Stunden an der Kreuzung vorbei gegangen war und sich in der Richtung aufhalten müsste, in die wir wollten.
Wir standen lange auf der Kreuzung und überlegten ob wir weiter fahren sollten. Irgendwann entschieden wir uns dafür. Wir sprachen ein Gebet, das Gott uns beschützen möge, nahmen den Mann mit, da er in der Gegend sehr bekannt war und sich im Notfall für uns einsetzen könnte, und fuhren weiter. Mit einem sehr mulmigen Gefühl...
Schon im nächsten Dorf trafen wir auf die besagte Gruppe. An die 15 Männer, bewaffnet mit Macheten und ähnlichem, und einem sehr finsteren Blick standen am Wegesrand und richteten sich direkt angriffslustig auf, als sie unser Auto kommen sahen. Uns blieb fast das Herz stehen. Gut für uns, dass der Weg an genau dieser Stelle sehr eben war. So konnten wir schnell an ihnen vorbei fahren, ohne das sie eine Möglichkeit hatten uns anzugreifen. Sie riefen uns noch wild hinterher mit erhobenem Waffen, aber sonst passierte beruhigender Weise nichts. Jedoch gab uns dieser Anblick zu denken und bot uns zu größeren Vorsicht, denn laut Aussage von dem Mann in unseren Auto, gab es noch mehr solcher Gruppen in der Gegend. Insgesamt sollten so an die 200 Männer so unterwegs sein.
Im Dorf darauf beschlossen wir stehen zu bleiben. Der Mann in unserm Auto meinte, dass dies ein friedliches Dorf sei.
Von dort aus war es zwar nicht mehr weit bis zu unserem Ziel, jedoch war es für uns 'Weiße' in einem Auto einfach ein zu großes Risiko. Wir riefen einen Mitarbeiter von dem Posten an, damit er die Materialien abholen kam, die wir eigentlich hatten hinbringen wollen.
Solange wir in dem Dorf da warteten, wurden die Dorfbewohner neugierig und umzingelten langsam unser Auto. Der Dorfälteste wurde herbeigerufen und fing ein Gespräch mit Julia an. Diese Gelegenheit nutzten wir direkt, um das Dorf über Cholera aufzuklären. Danach wollten wir denen noch Artimesia-Tee da lassen, der sehr gesund ist und von dem wir einen großen Sack dabei hatten. Als wir den Sack mit dem 'grünem Zeug' hervor holten, wichen alle vorsichtig zurück. Vermutlich dachten sie, dass dies das Cholera verursachende Pulver sei. Also blieb uns nichts anderes übrig, und nach einander aß jeder von uns ein wenig von dem Tee (Tee zu essen ist echt nicht lecker), um ihnen zu zeigen, dass davon keine Gefahr ausging. Das beruhigte sie wieder.
Der Mitarbeiter kam und holte die Sachen ab. So konnten wir endlich umdrehen und aus dem Risiko Gebiet raus. Bevor wir los fuhren, bat uns noch ein recht Junger Typ, ihn in die nächste größere Stadt mitzunehmen. Das war kein Problem. Im Auto erzählte er uns dann, wie krass es unter der Bevölkerung abging. Dass er von dem Dorf weg wollte, hatte den Grund das die aggressiven Männer ihn bei den `Raubzügen`dabei haben wollten, und da er sich weigerte kamen sie langsam auf die Idee, er würde der Regierung helfen. Ziemlich krank, immerhin wollte er einfach nur friedlich bleiben...
So rasten wir weiter nach Hause. Vorbei an den menschenleeren Dörfern, manchmal sehr angsterfüllten Menschen und sogar noch einmal vorbei an der gefährlichen Truppe von Männern, die mittlerweile schon etwas weiter gezogen waren. Wir fuhren so schnell es der Weg zu ließ, um aus der Gefahrenzone raus zu kommen. 
Das war echt mal eine seltsames Erlebnis in Memba, und gibt mir manchmal immer noch zu denken...